Szenario-Technik
Inhalt
» Szenarien dienen zur Abbildung der möglichen Zukunft
» Die Szenario-Methode akzeptiert Unsicherheit im Gegensatz zu Prognosen
» Intuitiver Ansatz der Szenario-Methode: informelle Methoden und subjektive Informationen
» Formaler Ansatz der Szenario-Methode: computergestützte Modelle
Die Szenario-Technik dient zur Auswahl von Strategien und zur Sensibilisierung für mögliche zukünftige Ereignisse unter Einbeziehung weicher Fakten in die Beschreibung der Zukunft. Der Untersuchungsrahmen und die wichtigen Akteure und Trends werden definiert, die wichtigen Unsicherheitsfaktoren bestimmt, Szenarien werden konstruiert, geprüft und überarbeitet.
Szenarien dienen zur Abbildung der möglichen Zukunft
Szenarien beschreiben alternative zukünftige Entwicklungen. Sie können die Zukunft darstellen auf globaler Ebene, für eine Branche als Ganzes, für die Entwicklung eines Unternehmens und seiner Wettbewerber, oder auch für ganz spezifische Fragestellungen. Dadurch können Szenarien unterschiedliche Funktionen haben:
- Kulisse für die Entwicklung und Auswahl von Strategien: Zumeist ist keine einzelne Strategie für alle Szenarien am Besten geeignet, daher müssen bei der Wahl der Strategie Entscheidungen getroffen werden wie „auf das wahrscheinlichste Szenario setzen" oder „Flexibilität erhalten".
- Erweiterung des Horizonts der handelnden Personen: Durch die Formulierung fundamental verschiedener zukünftiger Zustände kann Bewusstsein für Unsicherheiten, Chancen und Risiken der Umwelt geschaffen werden. Die mentalen Modelle der handelnden Personen können verändert werden, indem man diesen ihre subjektive Sicht der Welt bewusst macht.
- Erarbeiten von Handlungsoptionen: die Beschreibung möglicher zukünftiger Ereignisse dient als Basis für die Entwicklung der jeweils angemessenen Reaktionen. Szenario-Analyse erfüllt somit die Funktion eines Frühwarnsystems.
- Verbindung harter und weicher Fakten: traditionelle Prognoseverfahren konzentrieren die Aufmerksamkeit zumeist auf harte Daten und ignorieren schwerer messbare Faktoren, welche jedoch ebenso entscheidend für den Erfolg sein können. Die Bildung von Szenarien schafft die Möglichkeit, beide Arten von Einflüssen zu kombinieren.
Die Szenario-Methode akzeptiert Unsicherheit im Gegensatz zu Prognosen
Normalerweise wird die Zukunft mit Hilfe von Prognosen betrachtet. Diese extrapolieren gegenwärtig sichtbare Trends in die Zukunft und leiten daraus ein Bild der Zukunft ab. Teilweise werden zusätzlich alternative Prognosen verwendet, die auf abweichenden Annahmen basieren wie „Nachfragewachstum +3% / –3%". Diesem Vorgehen liegt zumeist der Gedanke zugrunde, dass die Welt von morgen relativ ähnlich der von heute sein wird. Das Problem von Prognosen liegt darin, dass sie dazu neigen, genau dann falsch zu sein, wenn sie am dringendsten benötigt werden – nämlich wenn tiefgreifende Veränderungen dazu führen, dass komplette Strategien hinfällig werden. Beispiele für solche Diskontinuitäten finden sich in der Realität sehr häufig – Extremfälle sind der Ölpreisschock 1974 (auf den Shell durch Anwendung der Szenario-Technik vorbereitet war) und die Ereignisse des 11. Septembers 2001 (auf deren Konsequenzen kaum ein Unternehmen vorbereitet war).
Die Szenario-Methode unterscheidet sich grundsätzlich von der Prognose-Methode. Die akzeptiert Unsicherheit, versucht, sie zu verstehen ins Denken zu integrieren. Szenarien sind keine Hochrechnungen, Vorhersagen oder Präferenzen, sondern schlüssige und glaubwürdige Geschichten, welche verschiedene Entwicklungspfade beschreiben, die zu verschiedenen Bildern von der Zukunft führen.
In der Praxis werden sehr unterschiedliche Ansätze zur Szenario-Analyse verwendet. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen.
Intuitiver Ansatz der Szenario-Methode: informelle Methoden und subjektive Informationen
In einer Vielzahl von Studien ist belegt werden, dass Prognosen rückblickend selten eingetroffen sind. Zudem ist das Umfeld, in dem Unternehmen tätig sind, zunehmend instabiler geworden, tiefgreifende Veränderungen haben zugenommen. Die Zukunft wird daher als grundsätzlich unsicher und nicht vorhersehbar betrachtet. Deshalb sehen Vertreter des intuitiven Ansatzes Szenarien das Gegenteil von Prognosen an. Mit Hilfe von kreativem Denken, Vorstellungskraft, informellen Methoden und der Verwendung qualitativer, subjektiver Information werden alternative, plausible Geschichten darüber, wie sich die Welt entwickeln könnte, erzählt. Als Ergebnis steht kein akkurates Bild der Zukunft, sondern bessere Entscheidungen und robustere langfristige Strategien.
Formaler Ansatz der Szenario-Methode: computergestützte Modelle
Im Gegensatz zum stark qualitativen intuitiven Ansatz basiert der formale Ansatz stark auf dem Einsatz von computergestützten Modellen und Prozessen. Der Schwerpunkt liegt oft weniger stark auf der Erweiterung der individuellen Sichtweisen handelnder Personen, sondern mehr auf dem Eingrenzen der Unsicherheit. Oft werden ein „Best case" und ein „Worst case" entwickelt, die den Rahmen für mögliche Entwicklungen bieten. Es besteht dabei eine Tendenz, den „Base case", also die als wahrscheinlich angesehene Entwicklung in der Mitte zwischen den beiden Extremen anzusiedeln, wodurch die Szenario-Analyse im Ergebnis häufig sehr ähnlich der traditionellen Prognose ist.
Die folgenden Schritte beschreiben das umfangreiche Vorgehen zur Erstellung von formalen Szenarien unter Verwendung computergestützter Simulationen. Für viele Zwecke ist es ausreichend oder sogar besser, die Formalität und die Komplexität des Prozesses zu reduzieren und intuitiver vorzugehen. Dies entspricht im Wesentlichen den Schritten 1 bis 8, wobei auf die Konstruktion „erzwungener Szenarien" auch verzichtet werden kann.
1. Definition der Sachverhalte, die untersucht werden sollen: Zeitrahmen, Umfang, Entscheidungsvariablen (z.B. Gaspreise im Mittleren Osten über die nächsten fünf Jahre). Betrachtung der Vergangenheit, um zu einem ersten Gefühl für das Maß an Unsicherheit zu gelangen
2. Identifikation wichtiger Stakeholder / Akteure: sowohl diejenigen, die betroffen sein könnten, als auch diejenigen, die einen signifikanten Einfluss haben könnten. Identifikation ihrer derzeitigen Rollen, Interessen und Machtpositionen.
3. Erstellung einer Liste von Trends und vorgegebenen Elementen, die einen Einfluss auf die obigen Entscheidungsvariablen haben – jeweils mit einer kurzen Erklärung darüber, warum und wie dieser Einfluss stattfindet. Eine Darstellung in einem Schaubild kann helfen, die Verbindungen und kausalen Beziehungen aufzuzeigen. Eine erste Liste kann zum Brainstorming dienen, bei der näheren Untersuchung potenzieller Auswirkungen, empirischer Belege und der Beziehungen untereinander werden sich ggf. manche Trends als irrelevant oder fragwürdig herausstellen
.
4. Bestimmung der wichtigsten Unsicherheitsfaktoren, deren Art des Eintretens (Realisation) die betrachteten Entscheidungsvariablen deutlich beeinflusst – jeweils mit eine kurzen Erklärung darüber, warum und wie diese Unsicherheiten bedeutsam sind und wie sie miteinander zusammenhängen.
5. Konstruktion zweier „erzwungener Szenarien": eines, in dem alle Unsicherheitsfaktoren auf positive und eines, in dem alle auf negative Art eintreten. Verbindung dieser mit entsprechenden Trends und vorgegebenen Elementen.
6. Beurteilung der Konsistenz und Plausibilität dieser künstlichen Szenarien und Identifikation der Inkonsistenzen in Bezug auf Trends und Kombinationen von Ereignissen.
7. Eliminierung unglaubwürdiger oder unmöglicher Kombinationen und Aufbau neuer, konsistenter Szenarien – Oft ist die Konzentration auf die zwei oder drei wichtigsten Unsicherheitsfaktoren sinnvoll. Diese Szenarien bilden „Lernszenarien".
8. Beurteilung der überarbeiteten Szenarien mit Blick auf das anzunehmende Verhalten der wichtigen Akteure. Hierbei ist es wichtig, die Szenarien lebhaft und glaubwürdig darzustellen und die erzeugte Welt „von innen heraus" zu betrachten – auch aus der Perspektive der anderen Akteure.
9. Nach weiterer Überprüfung auf Inkonsistenzen kann versucht werden, bestimmte Interaktionen in einem quantitativen Modell abzubilden. Man betrachtet n Unsicherheitsfaktoren mit je m Realisationen (Bandbreiten von Realisationen oder sogar statistische Verteilungen), wodurch mn Kombinationen entstehen. Die zuvor betrachteten Wechselbeziehungen zwischen den Unsicherheitsfaktoren lassen sich als Korrelationskoeffizienten (in einer Korrelationsmatrix) formulieren. Szenarien können dann als Cluster von hoher Verteilungsdichte im n-dimensionalen Raum betrachtet werden. Cluster-Analyse bzw. Monte-Carlo-Simulationen sind mögliche Verfahren, welche die Konstruktion von Szenarien unterstützen können.
10. Mit den Ergebnissen der Simulation werden Realisationen der (abhängigen) Entscheidungsvariablen bestimmt, im Beispiel wären dies mögliche Gaspreisentwicklungen. Ein erneutes Durchlaufen der vorigen Schritte führt zu „Entscheidungsszenarien", welche das Endergebnis der Szenario-Analyse darstellen.
Autor: Achim Sztuka